CDs
|
NEUES AUS
DER
MUSIKWELT
KLASSIK
César Franck
BEARBEITUNGEN VON
VIOLINSONATE UND „TROIS
CHORALS POUR ORGUE“
Karl-Andreas Kolly, Simone Riniker, David
R
iniker
MDG/Naxos CD_______________[64]
Dass jemand aus Francks Violin-
sonate einfach mal ein Klaviertrio
macht - diese Idee erscheint selt-
sam. Je länger man aber dem Ar-
rangement des Berliner Cellisten
David Riniker zuhört, desto reiz-
voller wirkt dieser Eingriff ins Ori-
ginal. Denn mit der Einführung ei-
ner Cellostimme erhält die Violine
in dieser extrem beliebten Sonate
einen Dialogpartner, mit dem sie
sich in der gleichen Sprache un-
terhalten und zum dichten Zusam-
menklang verschmelzen kann. Das
ist im Original nur schwer mög-
lich; das Klavier bleibt beim Ver-
such, es der Geige als Melodie-
instrument
gleichzutun,
stets
unterbelichtet. Wie dialogisch
Francks Sonate für beide Instru-
mente angelegt ist, wird eigent-
lich erst in Rinikers Bearbeitung
so richtig erlebbar.
Ähnlich stark gewinnen die drei
Orgelchoräle. Karl-Andreas Kol-
ly hat sie für Klavier bearbeitet:
drei ungemein dichte, jeweils gut
zehn Minuten dauernde Stücke,
die sich in einem Zwischenreich
zwischen Variation und Fantasie
bewegen. Auf dem Klavier ge-
spielt, fühlt man sich an die gro-
ßen Variationssätze von Beetho-
ven erinnert: ähnlich unergründ-
lich, zuweilen rätselhaft, ähnlich
sorgfältig im Ausreizen des mu-
sikalischen Materials und seiner
Möglichkeiten. Kolly spielt die-
se Stücke grüblerisch, ohne ge-
dankenschwer zu sein, das Sona-
ten-Trio, bei dem neben David Ri-
niker auch Simone Riniker (Vio-
line) auftritt, klingt kantabel und
leicht; dass sich der Belgier César
Franck stets im Bereich der fran-
zösischen Musik bewegt hat, ge-
rät hier nie in Vergessenheit. Wer
bisher keinen Zugang zu Franck
gefunden hat: Diese CD könnte
ihm helfen.
Clemens Haustein
MUSIK ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
Johann Sebastian Bach
DAS WOHLTEMPERIERTE KLAVIER I
Pierre-LaurentAimard
DG/Universal 2
CDs_____________(113}
Mehr als alle anderen Klavier-
aufnahmen des „Wohltemperier-
ten Klaviers“ erinnert mich die-
se Neuproduktion an den Bach,
wie er zu meiner Studentenzeit,
long long ago, an deutschen Mu-
sikhochschulen bevorzugt gelehrt
wurde: Es war ein strikt „sachli-
cher“, auf „Objektivität“ getrimm-
ter Bach, der sich in Anschlag, Dy-
namik, Tempo, Artikulation enge
Grenzen setzte, wenig Platz hat-
te für eine Charakterisierung der
einzelnen Sätze und individuel-
les interpretatorisches Profil hin-
ter distanzierte Neutralität zurück-
treten ließ.
Wollte Pierre-Laurent Aimard in
seiner Einspielung durch den Rück-
zug auf referierende Texttreue ein
Gegenbild zum freieren und his-
torisch informierten Bach-Bild der
Gegenwart schaffen? Jedenfalls
nahm er sich als Interpret noch
konsequenter zurück als Bach-Pia-
nisten wie Edwin Fischer, Richter
oder Gulda, aber auch als Koroliov
oder Hewitt, verzichtete damit al-
lerdings auf die Attraktivität und
den Abwechslungsreichtum einer
unverwechselbaren persönlichen
Handschrift. Und im Unterschied
etwa zu Kempff oder dem Extrem-
fall Glenn Gould besitzt sein Ton
allein nicht genügend Leuchtkraft
und Intensität, um auf Dauer fes-
seln zu können. So entwickelt sich
die berühmte Serie von Präludien
und Fugen einigermaßen nüch-
tern und spannungslos als eine
Art Austerity-Kurs, in dem sogar
vorgezeichnete Triller kurz gehal-
ten oder ganz ausgelassen sind.
Uneingeschränktes Lob verdie-
nen dagegen die Balance und Aus-
gewogenheit von Aimards Spiel,
das auch in den polyphonen Ver-
dichtungen der vier- oder fünf-
stimmigen Fugen noch rund und
klar durchhörbar bleibt.
Ingo Harden
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
Kronos Quartet u
. a
.
Nonesuch/Warner CD
(74’)
Eine Geige wirft in der Höhe eine
vietnamesische Weise aus. Wie ein
Fähnchen flattert die Melodie im
Wind, bis von einer Zither geerdet
wird. Andere Saiteninstrumente set-
zen ein. Es sind die eines Streich-
quartetts, aber sie klingen nicht
so. David Harrington hat Büroklam-
mern in die Saiten seiner Violine
geklemmt, John Sherba bearbeitet
seine Geige mit Stäbchen, Sunny
Chang spielt Pizzicati am Steg ih-
res Cellos, Hank Dutt imitiert mit
der Viola einen Sänger. „Green Ri-
ver Delta“ ist ein vietnamesisches
Traditional, das der blinde Saiten-
virtuose Kim Sinh arrangiert hat.
Und als das Kronos Quartet es zu-
sammen mit Van-Anh Vanessa Vo
eingeübt hatte, übermittelten sie ih-
re Adaption per Skype an Kim Sinh.
Er soll nur dagesessen und still ge-
lächelt haben. Solcherart sind die
Geschichten, die das Kronos Quar-
tet seit vier Jahrzehnten schreibt.
Einst haben sie die wohlgesetzte
Streichquartettszene aufgemischt,
traten in futuristischen Klamotten
und mit verstärkten Instrumenten
auf, spielten dann wieder ein Quar-
tett von Steve Reich ein. Immer wie-
der gingen sie ungewohnte Wege.
Und so klingt auf ihrem Jubiläumsal-
bum auch wenig nach herkömmli-
chem Streichquartett, immer aber
nach guter, gefühlter Musik. Hinter
ihr steigen Geschichten auf. Ob sie
einen irischen oder schwedischen
Folksong interpretieren, ein Ameri-
can Traditional, oder ob sie sich mit
Astor Piazzolla
1991
ein Jahr vor des-
sen Tod in New York im Studio tra-
fen, um sein Bandoneon zu beglei-
ten: Es ist schlicht egal. Tausend Ge-
danken und Querverweise tun sich
auf. Und so ist diese Jubiläumskom-
pilation eine Zeitreise, die den ame-
rikanischen Minimalpionier Terry Ri-
ley ebenso einschließt wie eine al-
te griechische Volksweise.
Tilman Urbach
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter www.stereo.de
Erich Korngold, Hanns Eisler u. a.
ESCAPE TO PARADISE -
THE HOLLYWOOD ALBUM
Daniel Hope, Sting, Max Raabe, Royal Stockholm
Philharmonic Orchestra u
. a.
DG/Universal CD______________ (77')
Daniel Hope ist erfinderisch. Letz-
tes Jahr kam sein Album „Spheres“
heraus, eine niveauvolle Musikmi-
schung, die Komponisten von West-
hoff bis Pärt zusammenbrachte.
Jetzt folgt „Escape To Paradise“, ein
Programm, das lustvoll in die Film-
musikwelt Hollywoods eintaucht.
Aber das geschieht vor ernstem his-
torischen Hintergrund, roter Faden
ist der Mensch auf der Flucht. Hope
stellt hier Musik von Komponisten in
den Mittelpunkt, die wegen ihrer jü-
dischen Herkunft nach Amerika ge-
flüchtet waren, dort ein neues Leben
begannen und letztlich den spezifi-
schen „Hollywood-Klang“ kreierten.
Der prominenteste ist Erich Wolf-
gang Korngold, der mit seinem Vio-
linkonzert ein Meisterwerk schuf.
Hope ist sehr vertraut mit dem
Stück, er stürzt sich hinein in diese
klangberstende Partitur, die Korn-
gold so effektvoll aus Material sei-
ner Filmmusiken geformt hat. Mit
Vibrato-Hochdruck bis in den Es-
pressivo-Grenzbereich beschwört
er eine verschwenderische Klang-
sinnlichkeit, die fast erdrückt und
auf Dauer einseitig wirkt. So viel
lustvolles Schwelgen bekommt
dem Stück dann doch nicht so gut,
auch wenn in Hollywoods Traum-
welt schon immer alles etwas grö-
ßer war als die Wirklichkeit. Dass
Hope auch anders kann, zeigt er so-
lo im letzten Stück, Zurückhaltung
und dezentere Klanglichkeit bestim-
men den Ausdruck in Herman Hup-
felds „As Time Goes By“ aus dem
Filmklassiker „Casablanca“. Auch
zwei prominente Stimmen hat Hope
mit ins Boot seiner Hollywood-Reise
genommen: die Pop-Ikone Sting, der
eine eigene Version von Hanns Eis-
lers Lied „An den kleinen Radioap-
parat“ beisteuert, und Max Raabe,
der mit „Speak Low“ von Kurt Weill
vors Mikrofon tritt.
Norbert Hornig
MUSIK
KLANG ★ ★ ★
STEREO 10/2014 147